60.000 Wassermühlen soll es Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland gegeben haben. Die Kemena-Mühle in Löhne war eine davon. Von 1893 bis 1991 wurde hier, zunächst rein durch Wasserkraft angetrieben, Getreide zu Mehl gemahlen. „Leider reichte die Wassermenge des Mittelbaches oft nicht aus, um die Mühle dauerhaft zuverlässig zu betreiben. Aus diesem Grund wurde 1932 zusätzlich ein 60 PS starker Sauggasmotor eingebaut“, weiß Technikliebhaber Joachim Becker vom Förderverein Mühlenmuseum Kemena zu berichten. Der erst im April 2024 gegründete Verein hat sich zum Ziel gesetzt, das Kulturdenkmal zu erhalten und die Technik für die Nachwelt zu bewahren. Dabei spielt der Sauggasmotor, von dem außer einem alten Foto und dem rund 3,5 Tonnen schweren Schwungrad nichts erhalten ist, eine besondere Rolle. „Funktionierende stationäre Sauggsasmotoren gibt es in Europa nur noch wenige erhaltene Exemplare“, sagt Becker.
Sonderkonstruktion mit moderner Elektronik treibt Schwungrad an
Da eine komplette Rekonstruktion des Motors aus vielerlei Gründen nicht in Frage kam, sollte zumindest das 100 Jahre alte gusseiserne Schwungrad für den Museumsbetrieb auf andere Weise wieder in Schwung gebracht und damit die Attraktivität des Museums gesteigert werden. Becker, der viele Jahre für den Aerzener Antriebs-und Automatiesierungsspezialisten Lenze tätig war, nutzte seine guten Kontakte zu Remmert und erhielt prompt Unterstützung. „Für unsere Auszubildenden war das Projekt eine ideale Aufgabe. Es schult kreative Lösungsfindung, Teamarbeit und handwerkliches Geschick", betont Dirk Kammel, Leitung Engineering bei der Friedrich Remmert GmbH, und ergänzt: "Außerdem macht es Spaß, weil es alte und neue Technik verbindet.“
Nach der ersten Besprechung vor Ort entwickelte Julian Heidbreder, zu diesem Zeitpunkt am Ende seiner Ausbildung zum Technischen Produktdesigner bei Remmert, die Sonderkonstruktion zunächst am Computer. Ein Reibrad, wie es auch in den Automationssystemen von Remmert zum Einsatz kommt, sollte das Schwungrad antreiben. „Das Schwungrad war nie dafür vorgesehen, auf diese Weise angetrieben zu werden. Eigentlich dient es dazu, durch die aufgenommene kinetische Energie die Drehung der Kurbel zu harmonisieren“, erklärt Dirk Kammel.
„Das funktioniert wie irre“
Die elektromechanischen Komponenten hat Becker über seinen früheren Arbeitgeber bezogen. „Der Frequenzumrichter lässt den Stirnrad -Getriebemotor und damit das Reibrad langsam beschleunigen, um die Schwungradmasse überhaupt erst in Bewegung zu setzen“, erklärt der passionierte Elektroingenieur das Prinzip und erinnert sich an vergleichbare Projekte bei Remmert. „Ein ähnlicher Umrichter, nur deutlich leistungsstärker, kommt im LaserFLEX zum Einsatz. Dort muss der Schlitten in den Endlagen langsam einfahren, damit er schwingungsfrei stoppt und die Last nicht herunterfällt.“
Pünktlich zum Mühlenfest im August 2024 konnte die Sonderkonstruktion von einigen Auszubildenden der Remmert GmbH gefertigt, montiert und vor Ort in Betrieb genommen werden. „Das hat von Anfang an zuverlässig und sicher funktioniert“, zeigt sich Becker von der Lösung begeistert.